Die Verbindung von Laufen und religiösem Kult ist über 5000 Jahre alt. Wir finden sie schon bei den Ägyptern der vordynastischen Zeit (spätes 4. Jahrtausend v. Chr.) dokumentiert. Die meisten Belege in Form von Tempeldekorationen stammen jedoch aus dem »Neuen Reich«, zu dem auch die Dynastie der berühmten Pharaonin Hatschepsut (Regierungszeit 1479 bis 1458 v. Chr). Das Bild links zeigt sie beim so genannten Sedfestlauf. Während andere Laufdarstellungen (Vogel-, Ruder-, Vasenlauf) vor allem künstlerische Konventionen ausdrücken und kein reales Vorbild gehabt haben dürften, verhält es sich hier anders: Mit dem Sedfest wurde ein Regierungsjubiläum des Pharao gefeiert. Dabei musste er mit einem Lauf beweisen, dass er trotz des Älterwerdens physisch noch den Anforderungen des hohen Amtes gerecht werden konnte. Gleichzeitig sollte der Lauf die Kräfte des Herrschers durch göttliches Zutun regenerieren. Schon in dieser frühesten Form kultischen Laufens findet sich also die Vorstellung, dass die körperliche Bewegung nicht nur Energie kostet, sondern auch mit Kraft aufladen kann.
In der Bibel spielt Sport auf den ersten Blick keine große Rolle. Wir kennen zwar von Paulus die »Läuferepistel« (1Kor
9,24-27), in der das Verhalten von Athleten beim Wettkampf gleichnishaft als Vorbild dargestellt wird. Doch das Bild gibt für eine theologische Annäherung an das Thema Sport und Spiritualität
nicht viel her. Auffallend ist jedoch, dass in der biblischen Geschichte die Helden häufig in Bewegung sind.
Das fängt mit Adam und Eva an, die, aus dem Paradies vertrieben, sich erstmal eine Heimat suchen müssen (Gen 3,23f.). Das
geht weiter mit Abraham, dem Urvater der drei monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam, der mit seiner Frau Sara zunächst von der heutigen Südosttürkei nach Palästina und von dort
nach weiter nach Ägypten zieht (Gen 12). Aus ägyptischer Gefangenschaft flüchtet das Volk Israel dem Buch Exodus zufolge 40 Jahre lang durch die Wüste, um dann im »gelobten Land« Kanaan zu siedeln. Der jüdische Wanderprediger Jesus
schließlich war so viel unterwegs, dass er bei seinem Jünger Petrus am See Genezareth nur eine provisorische Bleibe hatte (vgl. Mk 1, 21-45).
Das In-Bewegung-Sein wird theologisch am weitreichendsten im Hebräer-Brief interpretiert. Das Motiv vom »wandernden Gottesvolk« gilt für diese anonym verfasste Epistel als zentral: Wie das biblische
Volk Israel nach dem Auszug aus Ägypten befindet sich die Gemeinschaft der an Christus Glaubenden in einer ständigen Bewegung, die erst am endzeitlichen Ziel, in der »göttlichen Stadt« (Hebr 11,10), zum Stillstand kommt: »Denn wir, die wir glauben, gehen ein in die Ruhe« (Hebr 4,3). Wir verdienen uns diese im Wortsinn himmlische Ruhe mit unserem bewegten Leben, so wie sich Gott die Ruhe nach sechs Tagen Schöpfung gegönnt hat: »Denn wer zu Gottes Ruhe
gekommen ist, der ruht auch von seinen Werken so wie Gott von den seinen. So lasst uns nun bemüht sein, zu dieser Ruhe zu kommen« (Hebr 4,10f.). Ihr Ort liegt in einer verheißenen neuen Wirklichkeit: »Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir« (Hebr 13,14). Der Weg dorthin erfordert noch viel Ausdauer, Geduld und Kraft:
»… lasst uns ablegen alles, was uns beschwert, und die Sünde, die uns ständig umstrickt, und lasst uns laufen mit Geduld in dem Kampf, der uns bestimmt ist… Darum stärkt die müden Hände und die
wankenden Knie und macht sichere Schritte mit euren Füßen, damit nicht jemand strauchle wie ein Lahmer, sondern vielmehr gesund werde« (Hebr 12,1.12f.).
Der Glaube gibt den Wandernden zugleich Orientierung für den Weg und Energie für die Anstrengung. Marathonläufer auf den ersten Kilometern nach dem Start können sich in diese Sichtweise gut
hineinfühlen: Wer an dem Gelingen seines Vorhabens zweifelt, der wird die kommende Herausforderung nicht bestehen. Wer aber zuversichtlich ist und begründet hofft, dass sich sein Training auch
auszahlen wird, der kann der Anstrengung gelassen entgegen sehen.
Eine ausführlichere Schilderung der größten Läufergestalten aus der Bibel finden Sie in meiner Predigt zur Jahreslosung 2013 in der Creativen Kirche in Witten.