2. So lernen Sie meditativ laufen
Fast alle Laufeinsteiger sind überrascht, wie schnell sie Fortschritte machen. Schon nach wenigen Monaten überwinden sie Distanzen, von denen sie am Anfang nicht zu träumen wagten. Das stachelt bei
vielen Läufern den Ehrgeiz an – sie trainieren noch härter, setzen sich immer höhere sportliche Ziele, bis sie eines Tages von einer Verletzung gestoppt werden oder von ihrer Enttäuschung, dass die
Leistungskurve nicht immer so steil nach oben zeigt.
Wer die meditative Seite des Laufen genießen möchte, sollte seinen sportlichen Ehrgeiz zügeln. Damit ist nicht gesagt, dass harte Trainingseinheiten einen kreativen Gedankenschub ausschließen. Aber
es fällt wesentlich schwerer, seinen Denkimpulsen freien Lauf zu lassen, wenn man gleichzeitig ein durch den Trainingsplan bestimmtes Programm durchziehen will, bei dem man sich auch auf Zeiten,
Distanzen, Intervalle und Herzfrequenzen konzentrieren muss.
Für den Läufer, der das Meditative der sportlichen rhythmischen Bewegung entdecken will. empfiehlt sich ein ganz anderes »Trainingsprogramm« – ohne quantitative Vorgaben, nur mit gedanklichen
Aufgabenstellungen. Einige Anregungen für solche Läufe, mit denen Sie sich für spirituelle Erfahrungen vorbereiten:
1. Wenn Sie über etwas Konkretes nachdenken möchten, laufen Sie nach der Dämmerung eine ausreichend beleuchtete Strecke. So minimieren Sie äußere Eindrücke. Versuchen Sie in einem lockeren Tempo
ihren Rhythmus zu finden und geben Sie sich keine konkreten Ziele vor (»Ich muss das jetzt lösen!«).
2. Stellen Sie sich während des Laufens ab und zu mal eine Gesprächssituation vor: Sie erklären etwas Ihren Eltern, einer alten Schulfreundin, Ihrem Religionslehrer, einem früheren Chef, der für Sie
zum Vorbild wurde.
3. Nehmen Sie sich vor, etwa alle 200 Meter ein Jahr Ihres Lebens Revue passieren zu lassen. Sie können dabei auch die ersten Jahre zusammenfassen oder die letzten zehn auf größere Distanzen
strecken. Ideal für einen Lauf in der Stadt der Kindheit.
4. Laufen Sie mit dem Vorsatz los, über die drei größten Vorbilder in Ihrem Leben nachzudenken, über die drei Bücher, die Ihr Leben verändert haben, über drei Menschen, die Sie gerne mal wieder
treffen würden... - und widmen Sie jeweils ein Drittel Ihres Laufs jedem Einzelnen.
5. Suchen Sie sich einen Laufpartner, mit dem sich gute, symmetrische Gespräche ergeben. Erst werden Sie über vieles, nach ein paar Wochen über alles reden.
6. Nur für erfahrene Läufer und nicht für Werktage geeignet: Gehen Sie mal morgens nüchtern auf einen sehr langen Lauf. Kaffee ist erlaubt, dann fällt der Einstieg leichter. Ab ca. 90 Minuten werden
Sie über Dinge nachdenken, die Ihnen jetzt im Traum nicht einfallen.
7. Wenn Sie gerne mit einem Musikplayer laufen, mixen Sie Playlists für Stimmungen, benennen Sie diese nach Farben (z. B. »blau« für Ruhiges, »grün« für Anspruchsvolles, »rot« für Rockiges) und hören
Sie diese auch mal antizyklisch: also etwa Playlist »blau«, obwohl Sie heute Bäume ausreißen könnten. Damit lernen Sie, Ihre Stimmungen zu kontrollieren, zu verlängern oder zu verstärken.
8. Wenn Sie etwas bedrückt, sollten Sie intensiver trainieren – auch wenn es zunächst schwerfällt. Nur so ist ihr Gehirn gezwungen loszulassen, um sich auf die Koordination zu konzentrieren.
Hinterher werden Sie erleichtert auf das Problem blicken.